Stellen Sie sich vor, die Donau flösse in die umgekehrte Richtung oder jemand versetzte sie zurück in die Zeit Marc Aurels. Die Geschichte Regensburgs, ihre Verbindungen und ihre Rolle für Europa inspirierten die Künstler*innen des donumenta Artist in Residence-Programms 2024 zu ihren Werken im Öffentlichen Raum – zu sehen vom 27. Juni bis 30. September 2025.
Den Installationen der donumenta-Künstler*innen im Öffentlichen Raum von Johanna Tinzl aus Österreich, Bojan Stojčić aus Bosnien und Herzegowina, Erika Velická aus der Tschechischen Republik und Anna Zvyagintseva aus der Ukraine gingen umfangreiche Recherchen voraus. Was die Künstler*innen bei ihrem vierwöchigen Artist in Residence-Aufenthalt in der UNESCO Weltkulturerbestadt entwickelten, überrascht jetzt Regensburger*innen und Welterbe-Reisende aus aller Welt. Bis Ende September 2025 können sie diesen Arbeiten begegnen, sich mit ihnen beschäftigen und mit ihnen interagieren.
Form gewordene Gedankenspiele
In seiner Insitu-Installation REVERSE DANUBE reflektiert Bojan Stojčić (Bosnien und Herzegowina) die Themen Ost und West, Flussverlauf, Ökologie, Migration und Geopolitik. Mit einem künstlerischen Dreh setzt Stojčić diese Themen in Beziehung zueinander: Er verkehrt den natürlichen Flusslauf der Donau nach Osten und weist darauf hin, dass die Migration in die entgegengesetzte Richtung, nach Westen verläuft. Bei seiner Präsentation führt Bojan Stojčić aus, wie empfindlich Abwanderung sein Land trifft. Es verliere geistige und wirtschaftliche Substanz. In diesem räumlich angelegten Kunstwerk am Oberen Wöhrd auf der Jahninsel baut Stojčić die 2.830 km lange Donau im Maßstab 1:100.000 modellhaft nach. REVERSE DANUBE verdeutlicht diese Umkehr bei Regen zudem performativ. „Die Geste ist poetisch, die Machart einfach“, kommentiert Bojan Stojčić das eigene Werk.
Handelsgut Mensch
Die skulpturale Intervention THE WRONGS OF BACK THEN von Johanna Tinzl (Österreich) besteht aus geschmiedetem Eisen. Das Material bildet überlebensgroße menschliche Gesichter nach, die aus dem Boden am Ufer aufzusteigen scheinen und an ein Geländer gekettet sind. Das Werk am Marc-Aurel-Ufer ist den versklavten Menschen gewidmet, die in Regensburg während der Römerzeit (1. bis 5. Jahrhundert) sowie im Mittelalter (10. bis 12. Jahrhundert) ausgebeutet, gekauft oder verkauft wurden. Dabei verweise der Titel auch auf das Unrecht von heute. Das Beispiel Frauenhandel mit Osteuropa sei nur ein Aspekt, in dem sich die Kontinuität von Geschichte vergegenwärtige. Bei ihrer Recherche stieß Tinzl im Besucherzentrum Welterbe auf eine Handelsliste, die neben Waren wie Honig, Salz, Eisen, Kupfer und Zinn auch „Sklaven“ aufführt. Auf einem Grabdenkmal aus dem römischen Regensburg fand die Künstlerin die Darstellung einer versklavten Frau.
Reflexion und Kommunikation
Mit ihrer Skulptur NÄHE UND FERNE am Grieser Spitz reflektiert Erika Velická (Tschechische Republik) über die geologischen, kulturellen und historischen Schichten Regensburgs. Am Anfang war Erika Velickás Erkenntnis, dass es am nördlichsten Punkt der Donau erst einen Hafen gegeben habe und erst später eine Stadt. In Material und Form inspiriert von einem antiken Amphitheater, versetzt die Künstlerin ihr Werk an den Zusammenfluss von Regen, Main-Donau Kanal und Donau. Sie markiert damit einen Ort der Begegnung, Reflexion und Kommunikation, würdigt die historische Funktion der Flüsse und unterstreicht deren Rolle für Handel und kulturellen Austausch. Besucher*innen sind eingeladen, Distanz in der Nähe und Nähe in der Distanz zu spüren. Mit NÄHE UND FERNE hat Velická einen Ort des Nachdenkens über große Fragen geschaffen. Um die Beziehung zwischen Geschichte, Gegenwart und Zukunft zu verdeutlichen sitzt in ihrem Werk aus frisch gehauenem Kelheimer Kalkstein ein historischer Quader aus der Dombauhütte.
Krieg und Frieden
Mit ihrer Installation LAMPSHADE visualisiert die in Kiew lebende Künstlerin Anna Zvyagintseva ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen des seit Februar 2022 andauernden Kriegs in der Ukraine. Mit Zeichnungen, Skulpturen und Kunstobjekten verweist die Künstlerin auf die Hinterlassenschaften von Kriegsflüchtlingen und Kriegsdienstleistenden. Die in der Erwartung einer raschen Rückkehr zurückgelassenen Dinge, verknüpft die Installation im neunkubikmeter showcase (Pustet-Passage) mit der Hoffnung auf Frieden. Mit abgestorbenen Pflanzen, Puppenmöbeln, persönlichen Erinnerungen und stilisierten Grashalmen aus Knetmasse visualisiert sie ein Zuhause, das kein Zuhause mehr ist. Gras in der Ukraine sei längst nicht mehr assoziiert mit Spiel und Erholung. „Gras birgt große Gefahr. Die Ukraine ist das am stärksten verminte Land der Welt“, sagt Anna Zvyagintseva. Ihr Werk verweist auf das Paradoxon von Krieg und Leben – blühende Bäume inmitten von Ruinen und Zerstörung – und die unerschütterliche Hoffnung, dass „Gras wachsen wird“.
Ausstellungsdauer: 27.06. – 31.07.2025