Einladung zur Enthüllung der in-situ Installation von Katharina Cibulka auf der Steinernen Brücke in Regensburg
Katharina Cibulka "Für Margretha, Johanna, Sophia..."
früher
Am 13. Brückenjoch der Steinernen Brücke in Regensburg befand sich bis ca. 1600 die Hinrichtungsstelle für Wasserstrafen. Zur Todesstrafe durch Ertränken wurden häufig Frauen wegen der Tötung eines Kindes, sowie wegen Blutschande und Ehebruch verurteilt. Bei mehrfachem Kindsmord wurde die Frau zusätzlich öffentlich gefoltert, indem ihr beispielsweise mit glühenden Zangen die Brüste „gerissen“ wurden. Zum Tod durch Ertränken an Frauen gibt es nur spärliche Informationen. In der damaligen Rechtsvorstellung lag der Bestrafung einer Täterin durch Ertränken ein Opfer- und Reinigungscharakter zugrunde: Das Wasser als reinigendes Element beseitigte die Schuldige mitsamt ihrer Schuld und befreite die Gemeinschaft vom Zorn der Schicksalsmächte.
heute
Rettungsstangen säumen die Uferpromenade entlang der Donau in Regensburg, um Menschenleben zu retten, die in Gefahr sind. Jeder in Not geratene Mensch hat das Recht auf Rettung. Eine Frau, ein Mädchen, eine Transfrau hat das Recht, alle ihren Körper beeinflussenden Entscheidungen selbst und ohne Einwirkung von externen Entscheidungsträger:innen zu treffen. Wir erleben aktuell in den USA die besorgniserregende Entwicklung, wie dieses Menschenrecht, über den eigenen Körper zu bestimmen, radikal beschnitten bzw. abgesprochen wird. Vor Jahrzehnten erkämpfte Reproduktionsrechte werden rückgängig gemacht – nicht nur in den USA, auch in rechtskonservativ regierten Ländern wie Ungarn oder Polen. Den Betroffenen wird abgesprochen, in einer so intimen und persönlichen Situation eine verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen. Es wird insinuiert, dass die Entscheidung gegen eine Schwangerschaft leichtfertig getroffen wird, was in den seltensten Fällen zutrifft – im Gegenteil: Es ist fast immer ein sehr schmerzvoller und schwieriger Prozess, der dem Abbruch vorangeht. Sämtliche Studien zum Thema zeigen, dass Verbote Abtreibungen nicht verhindern, sondern diese nur unsicherer und für die Gesundheit gefährdender machen.
Die Skulptur
Der von Katharina Cibulka gestaltete Hybrid aus Rettungsstange, Kleiderbügel und Stricknadel steht für die Gegensätze dieser hoch ideologisch geführten Debatte um die Reproduktionsrechte von Frauen, Mädchen und Transmenschen. Die Skulptur bildet eine Klammer zwischen Mittelalter und Gegenwart. Sie verweist auf die Schattierungen von Grausamkeit, wenn es darum geht, Hierarchien einzuzementieren und Ausschlussmechanismen zu generieren. Cibulka hinterfragt Gesetzmäßigkeiten und deren Entwicklungsgenese. Sie kratzt an der scheinbaren Objektivität von Gesetzen, die sich als zeitlos und allumfassend geben, jedoch in jeder historischen Epoche einen hoch politischen und stark ideologischen Charakter hatten bzw. haben.
„Der rettende Ring verwandelt sich in einen bedrohlichen Kleiderbügel, zu dem Schwangere greifen müssen, wenn die Rahmenbedingungen für einen medizinisch und gesetzlich gesicherten Abbruch nicht gegeben sind. Dies ist ein Akt höchster Verzweiflung, ein Ausweg aus einem unlösbaren Dilemma.“ beschreibt die Künstlerin die der Skulptur zugrunde liegende Idee.
Der Kleiderbügel steht für eine tragische Form der Selbstermächtigung im Prozess einer unerwünschten Schwangerschaft. Er wird zum Instrument der Befreiung umfunktioniert, zu dem Schwangere greifen, wenn sie keinen Ausweg mehr sehen und kein Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch gewährleistet ist.
Katharina Cibulkas Skulptur ist auch als Symbol der Rettung und Befreiung zu lesen:
- Die medizinische Versorgung einer unfreiwillig Schwangeren muss „gerettet“ werden.
- Die Freiheit der persönlichen Entscheidung muss „gerettet“ werden.
- Die liberalen Rechte müssen „gerettet“ werden.
- Die Menschlichkeit muss „gerettet“ werden.
- Die Ehre aller Frauen, die im Mittelalter einen grauenvollen Tod erlitten, weil sie nicht schwanger sein wollten oder konnten, muss „gerettet“ werden.
Das Rettende und das Vernichtende, in Eisen geschmiedet, übergroß und sperrig, die Klammer zwischen Mittelalter und Gegenwart, schwer lastend zwischen zwei Brückenpfeilern – der Ort, wo die Unglücklichen, Verzweifelten, Geschändeten verschnürt ins Wasser geworfen wurden. Nur sie wurden zur Rechenschaft gezogen. Männer hatten für ihre Nötigung und für ihr Tun mit keinerlei Konsequenzen zu rechnen, es blieb meist bei einer simplen Mahnung.
War das Mittelalter grausamer als die Gegenwart? Haben wir aus der Geschichte gelernt oder wiederholen wir in Zyklen das Immergleiche in Variationen?
Transformation
Aus der Rettungsstange mit Ring wird der gefährlich rettende Kleiderbügel mit spitz zulaufender Stricknadel aus Eisen geschmiedet. Gesetze sind nicht in Stein gemeißelt. Gesetze sind form- und biegbar – ähnlich einem heißen Stück Eisen. Je nach Ideologie sind sie in die eine oder andere Richtung, rettend in ihrer menschlichen Auslegung oder vernichtend in ihrer kalten Härte. Die Skulptur lastet schwer zwischen zwei Brückenpfeilern, schwer lastet eine Entscheidung auf den Schultern derer, die sie zu treffen haben. Gesetze sind Pfeiler unserer gesellschaftlichen Ordnung, schaffen Rechtssicherheit; aber welche Art von Sicherheit soll dies sein und für wen, wenn Frauen als die Hälfte der Bevölkerung kaum in den Entscheidungsgremien vertreten ist?
Mitsprache
In all ihren künstlerischen Arbeiten thematisiert Katharina Cibulka gesellschaftliche Missstände und ladet uns ein, Teil einer Veränderung zu sein, die den Prinzipien von Menschlichkeit und Gleichwürdigkeit verpflichtet ist. Die Demokratie ist die starke Basis für eine gerechte Gesellschaft. Die Zentren der Macht sind jedoch nach wie vor männlich dominiert, wichtige Entscheidungen werden großteils von Männern getroffen, selbst wenn sie mehrheitlich Frauen betreffen. Dies gilt es konsequent zu verändern, mit allen Mitteln, auch und gerade mit jenen der Kunst im öffentlichen Raum, die Aufmerksamkeit schaffen kann. Wie das konkret aussehen könnte, beschreibt die Künstlerin so: „Glücklicherweise leben wir nicht mehr im Mittelalter. Wir leben in einer Demokratie und können mitbestimmen, wer uns regiert. Insofern haben wir weit mehr in der Hand, als es uns zuweilen scheint. Wir alle sind Teil des Ganzen und tragen Verantwortung, die über das Individuelle hinausreicht. Es gibt mehr Gründe denn je, sich einzumischen, mitzumischen und für jene einzustehen, die ohnmächtig sind. Wir alle können im positiven Sinn Macht ausüben, damit ein Kleiderbügel einfach nur ein Kleiderbügel bleibt.
KATHARINA CIBULKA Kurzporträt:
Katharina Cibulka verfolgt in ihren Arbeiten eine konsequente politische Agenda, in deren Mittelpunkt Aspekte wie Feminismus, soziale Gerechtigkeit, Gemeinschaftlichkeit und Fragen zu ästhetischen Prozessen und der Rolle der Kunst selbst stehen. Sie geht dabei oft von Geschichten und Motiven aus, in denen grundlegende gesellschaftliche Streitfragen und Anforderungen auf persönliche Weise reflektiert werden. Ihre Arbeiten nehmen in dieser Auslotung emanzipativer und sozialer Perspektiven unterschiedliche Formen an: Interventionen im öffentlichen Raum, Arbeiten mit Film, Fotografie, Texten oder Sound, mit Aktionen und Performances.
Lebt in Innsbruck und arbeitet in Innsbruck und Wien. Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste Wien (Medien- und Performancekunst), Schule für künstlerische Photographie Wien, an dem Internationalen College SAE (digital film producer) und an der New York Film Academy. Mitbegründerin der Frauenband telenovela und der Künstlerinnengruppe peek a corner. Arbeitet als Künstlerin, Filmemacherin, Fotografin und Projektentwicklerin & Leiterin für künstlerische und nachhaltige Prozesse.
Ihre Arbeiten sind auf nationalen und internationalen Ausstellungen und Filmfestivals zu sehen, ua. bei Glucksman Gallery / Cork, Künstlerhaus / Wien, St. Claude Gallery / New Orleans, Kunstverein / Bonn, Shedhalle / Zürich, Secession / Wien, Neue Galerie / Innsbruck, Lidget Gallery / Budapest, Golden Thread Gallery / Belfast, Museum für angewandte Kunst / Belgrad wie auch bei der St. Petersburg Biennale 2006, der internationalen Student Triennale in Istanbul 2010, der 1. Rabat Biennale für zeitgenössische Kunst 2019 (female only) und 2022 der Vierzon Biennale, Frankreich.
Sie erhielt u.a. 2021 den Landespreis für zeitgenössische Kunst des Landes Tirol, 2020 das Hilde-Zach-Kunststipendium der Stadt Innsbruck 2019 das Staatstipendium für Bildende Kunst, 2014 den Förderpreis für zeitgenössische Kunst des Landes Tirol, 2012 den Förderpreis der Stadt Innsbruck für Fotografie / Neue Medien, 2010 den Würdigungspreis des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung und 2010 den Preis der Freunde der bildenden Kunst.
Text: Tina Themel, Wien
Künstlerische Intervention "Für Margretha, Johanna, Sophia …"
In ihrem Werk für das 13. Brückenjoch an der Steinernen Brücke in Regensburg bezieht sich Katharina Cibulka auf die Todesstrafe durch Ertränken im Mittelalter.
Als Artist in Residence im donumenta-Programm „HERITAGE TODAY / TOMORROW“ schafft sie so die Verbindung zwischen der Geschichte der UNESCO Weltkulturerbestadt Regensburg, ihrer Gegenwart und ihrer Zukunft. Es ist immer wieder der Blick von außen, die neue, unvoreingenommene Perspektive, die dieses Artist in Residence Programm so wertvoll macht.
Cibulkas Werk bezieht sich auf die Geschichte und schafft gleichzeitig einen Beitrag zur aktuellen Debatte über die Selbstbestimmung der Frau im Zusammenhang mit ungewollten Schwangerschaften. Die Künstlerin ist bekannt für ihre Interventionen und Performances im öffentlichen Raum. Bei ihrem Artist in Residence-Aufenthalt in Regensburg unter dem Motto „HERTITAGE TODAY / TOMORROW“ inspirierte die österreichische Künstlerin ein Video im UNESCO-Welterbezentrum an der Steinernen Brücke. Dort wird der berühmte Kupferstich des Matthäus Merian aus dem 16. Jahrhundert animiert gezeigt, angereichert mit vielen weiteren Bildquellen.
Der Stich zeigt so das Leben und – so muss ergänzt werden – das Sterben auf der Steinernen Brücke. Am 13. Brückenjoch fanden bis um 1600 so genannte Wasserstrafen statt. Cibulka verknüpft die mittelalterliche Praxis mit der Todesstrafe mit den Rettungsstangen, die das Ufer der Donau im Stadtgebiet heute säumen. Zwei diametral entgegengesetzte Perspektiven auf das Leben verbinden sich zu einer Skulptur die gleichermaßen an Rettungsstangen und Abtreibungsinstrumente erinnert.
Die temporäre Installation von Katharina Cibulka wird bis zum Ende Oktober 2022 am 13. Brückenjoch der Steinernen Brücke zu sehen sein.